URSULA GAISBAUER: URBANE TRANSFORMATIONSPROZESSE
Text: Patricia Grzonka
Wenn Ursula Gaisbauer sich in ihrer künstlerischen Praxis mit Transformationsprozessen in Städten und deren architektonischem Gefüge beschäftigt, dann nähert sie sich diesem abstrakten Komplex mit Hilfe von konkreten Projekten an. Diese ortsbezogene Praxis kann verschiedene Formen annehmen. In einem Fall ist es die gebaute Substanz, also alte Gebäude, die abgerissen oder renoviert werden, und das Gebäude selbst stellt das Substrat ihrer Herangehensweise dar. In einem anderen interagiert die Künstlerin mit den Menschen, die beispielsweise in Wohnsiedlungen leben, und trägt durch die künstlerischen Interventionen zum Community Building bei. Werden im ersten Beispiel Fragen nach Identität, Inszenierung, Nachhaltigkeit, Arbeitsprozessen und gesellschaftlichem Gefüge gestellt, so stehen im zweiten Gemeinschaftsprozesse und Nachbarschaftsaktivitäten im Vordergrund.
Im Zuge ihrer Recherche nach alten Kinos stieß die Künstlerin 2020 auf das Filmhaus Stöbergasse, einem ehemaligen Standort der Volkshochschule Wien im 5. Wiener Gemeindebezirk. Das Gebäude mit integriertem Kino stand kurz vor dem Abbruch, als sich Gaisbauer für ein Projekt des MINING Kollektiv (eine Kollaboration mit dem Künstler Friedrich Engl) mit diesem Objekt zu beschäftigen begann. Der Vorgang ist komplex und involviert verschiedene Planungsabläufe, aber kurz gesagt wird hier ein Ort der Veränderung zum Schauplatz temporärer künstlerischer Interventionen. Es handelt sich dabei um eine experimentelle Spurensuche, in der Materialien neu kontextualisiert und Prozesse analysiert werden. Diese skulpturalen Prozesse werden auch in Form von Filmarbeiten in die Ausstellung transportiert, um einen Moment der Reflexion und des Innehaltens zu ermöglichen. Das Wichtigste aber ist, dass mit dem Ort und dessen Kontext gearbeitet wird. Vorgefundene Materialien werden raumgreifend inszeniert – eine Art „Transformations-Ready-Made“. Diese Umschichtungsarbeit wird vom rein Materiellen auf die konzeptuelle Ebene übertragen und enthält dadurch auch die Möglichkeit, inhaltlich oder historisch zu agieren. Ein verschwindender Kinosaal hat in einer Zeit der forcierten Ökonomisierung im städtischen Raum eine völlig andere Relevanz als in der Zeit seiner Erbauung. Das Publikum wird dabei Teilhaber_in dieses Reflexionsprozesses und erhält Einblick in den Moment des Verschwindens eines Gebäudes.
Ursula Gaisbauer hat 2016 ihr Studium an der Universität für angewandte Kunst Wien in der Abteilung Ortsbezogene Kunst abgeschlossen und entwickelt seither ihre künstlerische Praxis kontinuierlich vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und urbanistischer Veränderungen. Das Faible für Räume und deren Geschichten führte sie auch zu einer temporären Installation in der ehemaligen Geburtsklinik Semmelweis in Wien, wo die jährlich stattfindende Alternativ-Kunstmesse Parallel Vienna 2021 stattfand. Dort funktionierte sie für die Arbeit Traces of a Lifespan einen Wickeltisch in einen Setzkasten um, den sie mit Hinterlassenschaften aus umliegenden Trödelläden bespielte.
Um die Sensibilisierung patriarchaler Strukturen, die in der DNA von Gebäuden eingeschrieben ist, ging es hingegen 2019 bei ihrem Projekt Behind New Curtains im Kosovo. Durch räumliche Eingriffe konnte die traditionell hierarchisch nach Geschlechtern getrennte Ordnung einer Kulla (einem traditionellen Wohnturm auf dem Westbalkan) im Haus umgeschichtet werden; die Frau wurde so ins Zentrum der Aufmerksamkeit gehoben.
Ein aktuelles Projekt verfolgt Gaisbauer unter dem Titel Kunst im Umbau. Der programmatische Titel umschreibt die Erforschung eines Ortes mittels Workshops und Talks. Wie kann das Entstehen und Werden eines Ortes – dem, was davor war und dem, was danach kommen wird – ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wir mit der architektonischen Substanz von Städten umgehen? Und welche Rolle kann die Kunst in diesem komplexen Wandlungsprozess spielen?
Bei allen Verschiedenheiten von Gaisbauers Arbeiten fällt das Gemeinsame auf: der temporäre Zugriff, das Transitorische und das Ohne-Effekthascherei-Agieren im Zwischenbereich. Die Verwendung von Recyclingmaterialien fördert Achtsamkeit und soziale Nachhaltigkeit. Da jegliche Architektur dem Architekturtheoretiker Bernard Tschumi¹ zufolge Handlung und Ereignis impliziert, beinhaltet sie auch Gewalt – die Transformation per se ist eine Form davon. Über diese Formel nachzudenken, lohnt sich auch im Zusammenhang mit Ursula Gaisbauers Werken, die diesen Aspekt der Architektur dinglich zu Bewusstsein führen.
1 Bernard Tschumi: Violence of Architecture, in: Bernard Tschumi, Architecture and Disjunction, MIT Press: Cambridge/ London, 1994 (1981), S. 121 ff.